Krimis als Reiseführer

Warnung: Die Abenteuer, von denen ich Euch auf dieser Reise berichten kann, sind nur Kopfkino, genauer: es geht um Bücher. Auch Fahrrad fahre ich nur noch handschonend (zumeist einhändig) auf der Straße und nicht mehr auf ausgesetzten Wanderpfaden. Zudem sind abgelegene Off-Road Pisten mit dem Bus wegen des Fingers gestrichen. Und Frankreich ist auch nicht der exotische Rand der befahrbaren Welt, aber dafür in Teilen sonnenverwöhnter als Köln.

Krimis sind mir schon seit langem Reiseorientierung und gute Krimis eröffnen mir spannende Einblicke in die gesellschaftliche Verfaßtheit fremder Länder. So verdanke ich die ersten Ausblicke auf die Risse im schwedischen Wohlfahrtsstaat nicht Hans Magnus Enzensberger Schwedengeschichte in „Ach Europa“, sondern den Krimis von Sjöwall/Wallöö um den Kommissar Martin Beck. Und meine depressiven Erinnerungen an verregnete Wanderungen in nassen schwedischen Wäldern lassen sich kaum trennen von meinen Bildern zu Henning Mankells Krimis über den südschwedischen Kommissar Wallander.

Das meine Leidenschaften für spannende Geschichten, politisch waches Bewußtsein und eine ausgeprägte Liebe für gutes Essen und Wein sowie der Hang zum Zynismus sich vereinbaren lassen, haben mir in den 80er Jahren die Geschichten  von Manuel Vazquez Montalban  um den FC Barcelona Fan, Ex-Kommunisten und Privatdetektiv Carvalho gezeigt. Unvergesslich ist der programmatische Titel „Mord im Politbüro“. All diese Leidenschaften und das gleiche Setting findet sich später auch auf sizileanisch in den Krimis von Andrea Camilleri. Es war kein Zufall, daß der ermittelnde Kommissar Montalbano wie der spanische Autor hieß. Auf jeden Fall verdanke ich diesen beiden Autoren wertvolle Hinweise auf gute mediterrane Gerichte.

Hervorragende Stadtführer im Süden waren für Florenz Magdalen Napps Romane mit ihrem verschrobenen Ermittler Maresciallo Guarnaccia und natürlich für Venedig Donna Leons Geschichten um Inspector Brunetti.

Doch die konkrete Idee für eine Krimireise nach Frankreich kam mir letztes Jahr auf einer Fahrt in den Süden als ich das Sonderangebot für drei Hörbücher der ersten Bretagne-Krimis von Jean-Luc Bannalec hörte.

Zwar ist das Leben zu kurz, um Zeit mit schlechten Krimis zu verschwenden. Und die Mehrheit der Regionalkrimis, ob Eifel, Allgäu, Ostsee oder Köln, haben meine Zweifel an der Qualität derartiger Erzählungen aus Deutschlands Provinzen verstärkt.

Aber:

„In den Salzsalinen von Guerande, am Golf von Morbihan und in Pont Aven warst du auch schon lange nicht mehr-und warum nicht mit Krimis als Reiseführer?“, dachte ich mir. Wenig später ärgerte ich mich auch noch über den weit hergeholten sehr konstruierten Plot des damals letzten Perigord Krimis „Provokateure“ von Martin Walker um den Dorfpolizisten Bruno aus St Denis. Doch ich erinnerte mich auch an die guten frühen Geschichten aus dem Perigord, wie „Bruno Chef de Police“, an die schmackhaften Gerichte, die Walker in „Delicatessen“ beschrieben hat und meinen Versuch an Hand von „Femme fatale“ die fiktive Stadt St Denis zu identifizieren. Ich bin mir sicher, sie in Le Bugue gefunden zu haben.

Der letzte Anstoß zur Reise kam dann im Dezember bei den Aufräumarbeiten in meiner Büchersammlung bei der Frage, ob ich die Marseille Triologie von Jean-Claude Izzo noch einmal lesen werden. „Auf jeden Fall“, war die Antwort. 

Und so stand die Reisestrecke fest: Die erste erreichbare Fähre in Savona sollte entscheiden, ob es ins Sizilien Camilleris geht oder nach Korsika, des neuen deutschen Regionalkrimis „Der Kopf des Korsen“. Dann kam die Provence von Jean-Claude Izzo an die Reihe und einiger anderer Krimis aus dieser Region. Da Martin Walker seinen neuen Perigordkrimi „Gran Prix“ herausgebracht hatte, wollte ich ihm noch einmal eine Chance geben und es mit dem Perigord vesuchen. Beendet werden sollte die Reise mit weiteren Bannalec Romanen in der Bretagne.

Ob die örtlichen Gegebenheiten mit den Erzählungen Schritt halten, erfahrt Ihr im nächsten Bericht. Für Leser ist es als Buchtip für die Sommerferien gedacht.

Hörbücher sind ideale Reisebegleiter für längere Autofahrten. Die meditative Wirkung des Vorlesens habe ich bereits vor einigen Jahren entdeckt. Hörbuch in den Schacht einschieben, bequeme Sitzposition wählen und los geht's auf die nächsten 500 km. Das Tempo reduziert sich, keine Hektik, weiter zu kommen und das Fahren ist eher ein Fließen, ein Mitschwimmen im Verkehrsstrom.  Am Ende wundere ich mich immer, wie weit ich schon gekommen bin.

Es ist aber auch schon vorgekommen. dass ich eine Warteschleife fahren musste, um den Roman zu Ende zu hören.

 

Aber Vorsicht, langweilige Bücher werden auch durch das Fahren nicht interessanter. Beim analogen lesen von Marcel Prousts Mammutwerk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" bin ich nie über die Anfangsschilderungen der Madelaines, dieser Muffin artige Küchlein aus Frankreich, hinausgekommen. Vor einiger Zeit endete auch mein Hörversuch mit Proust in mehrfachen Sekundenschlaf Attacken. Bei aller Liebe zur französischen Kultur: Proust ist auf leeren Autobahnen in der Heimat der Madelaines gefährlich.

 

Also: nur interessante Bücher bringen einen weiter und nur sie gehören in den Schacht.

 

Mittlerweile kann ich mir Fernreisen mit dem Auto ohne Hörbücher kaum noch vorstellen.