Schlimmer geht immer

Moustiers St.-Marie

Leider setzte sich die Reihe deutscher Klischee Bücher über französische Regionen in der Provence fort. Würde man die südfranzösische Region nach den Romanen

 

„ Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer“ von Pierre Martin,

„Provenzalische Intrige“ von Sophie Bonnet und

„Das Lavendelzimmer“ von Nina George

 

beurteilen, käme einem nie die Idee, in ein so uninspiriertes und langweiliges Land voller problembeladener Stadtflüchter und seltsamer Eingeborenen zu reisen.

Dass dieser Teil Frankreichs alles andere als üblich, flach und uninspiriert ist, erschließt sich jedem Besucher der Region sofort. Deshalb pilgern seit Jahren auch die Nordeuropäer an diesen Sehnsuchtsort, besonders Briten und Deutsche und natürlich jeden Sommer ganz Paris.

Umso mehr ärgert man sich in der sonnigen und abwechslungsreichen alten Kulturlandschaft flache Klischeeromane zu lesen, die noch nicht einmal als Reisevorlage dienen können. Der Kontrast zwischen öder Fiktion und lebendiger Realität ist mindestens so groß wie die Gorges de Vendon tief ist.

Die „Madame le Commissaire“ Reihe weicht nur durch die weibliche Ermittlerin von der Erzählschablone ab. In „…der verschwundene Engländer“ versucht die ehemalige Leiterin eines Pariser Antiterror Kommandos sich in ihrem Heimatdorf in der Haute Provence (irgendwo zwischen Draguignan und der Gorge de Verdon) von den Verletzungen ihres letzten Einsatzes in Paris zu erholen.

Zufällig wird kurz vorher ein gesuchter englischer Finanzjongleur ermordet und sie übernimmt die Ermittlungen. Natürlich bekommt sie den begehrtesten Junggesellen am Platz, den Bürgermeister und wie zu erwarten ist, prügelt sie sich durch die Cote d´Azur. Das Essen ist selbstredend rustikal und hervorragend, nur bleibt das Rezept im Dunkeln und ganz nebenbei klärt sie auch noch den Tod ihrer Eltern auf, der kein Unfall, sondern der Mord eines fiesen Investors war. Und, wer hätte sie nicht vermisst, kommen auch wieder nette ehemalige Fremdenlegionäre vor.

Die ganze Geschichte bleibt blutleer und vorhersehbar. Von der herben Schönheit der Haute Provence findet sich kein Wort. Dabei strotz die Gegend von ungewöhnlichen Dingen, die unser historisches Bild von wilder Romantik am Mitteleer maßgeblich mitgeprägt haben. Weder die atemberaubend steile Schlucht der Verdon, noch die vielen alten Römerstraßen, die noch ganz oder teilweise erhalten sind und zu Wanderungen oder MTB Touren einladen. Schon gar nicht erscheint die romantische Ikone der Fayence Malerei, das in eine Schlucht gezwängte Moustiers-St-Marie.  Das sind nur die spektakulären High-Lights, die ignoriert werden. Aber auch die erst auf den zweiten Blick schönen Orte oder die bezaubernden Trüffelmärkte der Region wie in Riez bleiben unerwähnt.

Stattdessen fahren die Hauptdarsteller immer stundenlang an die überfüllte Küste mit ihren bekannten Plätzen wie St Tropez oder die Ile de Porquerolles. Und wenn man schon durch so viel Kitsch fährt, wartet natürlich ein altes Fischerboot in einer lauschigen unbekannten Bucht und die Kommissarin tuckert mit ihren neuen Geliebten in die Abendsonne.

 

Urteil: Ein Ozean aus Sülze. Zeitverschwendung und als Reiseführer unbrauchbar.

Ich habe die deutsche Autorin im Verdacht, sich auch hinter dem Pseudonym

Sophie Bonnet in „Provenzalische Intrige“

zu verstecken, dem nächste seichten Provence-Krimi. Ist es Zufall, dass die Ermittlerin in „Madame la commissaire“ genauso wie die Autorin heißt? Das Niveau der Romane bleibt gleich flach. Insofern spare ich mir auch den sprachlichen Vergleich zur Autorenidentität. Zur Abwechslung spielt die Handlung jetzt in einer anderen Region der Provence. Wahrscheinlich in der Vaucluse, irgendwo zwischen Cavaillon, Carpentras und Apt, aber genau lässt sich das auch diesmal nicht sagen. Und das ist wieder eine Übereinstimmung.

Der Ermittler stammt wie zu erwarten aus Paris und versucht als Dorfpolizist in der Provinz seinen Frieden zu finden. Was geschah und warum er die Hauptstadt verlassen hat bleibt bis zum Schluss unklar. Natürlich findet er im Süden Frieden und eine neue Freundin als er den Mord an einer ökologischen Seifenfabrikantin aufklärt. Man gebe eine Prise real existierenden Lavendelsterben, Markenschutz für die regionale Seife Savon de Marseille, einige irrationale Fahrten über steile Bergpässe des Plateaus de Vaucluse (die es in dieser Gegen nicht gibt), eine halbherzige Bewerbung als Kommissar in Avignon, die er wegen der ländlichen Idylle wieder zurückzieht -  und fertig ist eine wahrhaftige Seifenoper a la Provenzale.

Zum Show-Down kommt es allerdings nicht in einem der naheliegenden malerischen Waldenser Dörfer des Luberon wie Oppede, Menerbes, Bonnieux oder Lacoste. Stattdessen klärt sich die Handlung in Sanary sur mer an der Küste auf. 

Nun wäre nichts gegen die Erwähnung des netten Küstenortes bei Toulon zu sagen. Schließlich hat er für das kulturelle Deutschland Bedeutung, weil er der Zufluchtsort der deutschen Literaten nach 1933 war.“ Sanary war die Hauptstadt der deutschen Literatur“, meinte Ludwig Marcuse. Hier lebten Heinrich und Thomas Mann, Rene Schickele, Arnold Zweig, Lion und Marta Feuchtwanger, Franz Werfel und Alma Mahler, Ernst Toller, B. Brecht, Alfred Kerr, Hermann Kesten, Friedrich Wolf, Alfred Kantorowicz und Ludwig Marcuse im Exil, aber auch A. Huxley.

„Der kleine Ort wurde so berühmt“, schrieb Ludwig Marcuse in seinem Buch „Mein zwanzigstes Jahrhundert“,“ dass die große amerikanische FBI mich vor der Einbürgerung immer wieder fragte: please tell us something about the German colony Sanary. Ich konnte ihnen nur sagen, dass Hermann Kesten, der seit Jahrzehnten das literarische Gras wachsen hört, mir diesen Ort empfahl; und ich hatte immer wieder viel Mühe, für die freundlichneugierigen Investigatoren klarzustellen, dass wir Deutsche selbst in Hitlers bester Zeit Sanary nicht zu einer „Kolonie“ des Vaterlands gemacht hatten; dass vielmehr dieses französische Fischerdörfchen in den Dreißigern von einem guten Teil der besten deutschen Literatur…auf die friedlichste Weise okkupiert worden war. Auch dass es dort einen Kramladen gab, der hieß: L´agreable et l´utile“.

Hätte der Autor/die Autorin des Provence-Krimis sich die Mühe der Recherche unterzogen, wären sie im Fremdenverkehrsbüro auf eine kleine Broschüre über den Teil unserer Kulturgeschichte gestoßen. Stattdessen lassen sie den ermittelnden Dorfpolizisten durch Neubausiedlungen zum Show-Down stolpern.

Urteil: Seifengewäsch. Die Provence ist viel schöner und die Realität und Geschichte viel spannender.

Zu allem Überfluss habe ich mir auch noch

Nina George „Das Lavendelzimmer“

gekauft, wahrscheinlich ein weiteres Pseudonym der vorherigen Autorin. Ich glaubte einen Krimi zu besitzen und wartete 70 Seiten auf die Leiche. Nichts. Nur ein emotional schwergeschädigter Buchhändler in Paris, der seit 20 Jahren seiner verflossenen Liebe nachtrauert. Anderen spendet er seelische Heilung durch Buchempfehlungen. Er selbst hat seine Erinnerungen zwei Dekaden lang in ein lavendelfarbiges Zimmer gesperrt. Unmotiviert öffnet er es um seiner netten neuen Nachbarin den Tisch aus dem alten Zimmer zu geben. Dort wird der Abschiedsbrief der Verflossenen gefunden und er beschließt spontan nach 20 Jahren den Kahn, der auch Buchladen ist, zu starten und nach Bonnieux in die Provence zu schippern, der Heimat der Ex-Geliebten.

Das war der Punkt, an dem ich aus Verzweifelung schreiend das Buch zuklappte. Wer erklärt der Autorin, das man Bonnieux im Luberon nicht mit dem Schiff erreichen kann, wer ist so doof zu glauben, dass nach 20 Jahren Stillstand die Batterien für die Zündung des Diesels noch funktionieren und wie ahnungslos muss man sein zu hoffen, der Diesel im Tank sei nicht verrottet.

So etwas gibt es nur, wenn die Liebe einen vollkommen um den Verstand gebracht hat. Und in der Tat ist es ein Liebesroman, wie ich nachhinein dem Klappentext entnommen habe.

Lesen bildet eben und vorher lesen verhindert Lese-Schmerz.

Urteil: Unterirdisch

Haute Provence

Crestet

  • Blick von Lacoste auf Bonnieux

  • Venasque

  • Waldenser Dorf im Luberon