Paul Bowles „Himmel über der Wüste“ und „Das Haus der Spinne“

spielen leider in einer nordafrikanischen Gesellschaft, die es seit langem nicht mehr gibt. Insofern ist der Einblick, den der Leser gewinnen kann auch nur noch historisch. Unter dem Himmel über der aktuellen Wüste kann ich mir nicht vorstellen, wie frustrierte Amerikaner den Sinn ihres Lebens finden. Früher schwärmte ich von Bowles, jetzt nervte das hysterische Personal nur noch und mit den existentialistischen Exkursionen konnte ich immer weniger anfangen.

Martin Mosebach „Mogador“

Wahrscheinlich hat Mosebach zu viel Bowles gelesen. Er scheitert beim Versuch ein neues Kostüm für das alte Bowlessche Thema zu schneidern, den Zusammenprall moderner europäischen und arabischer Kultur. 160 Seiten geschieht erst einmal nur die Flucht eines Investmentbankers von Düsseldorf nach Magador. In Rückblicken klärt sich der Aufstieg des Helden aus kleine Verhältnisse zum Investmentbanker, seine Verwicklung in Geldwäschegeschäfte, die freudvolle, aber gefühlsleere Beziehung zu seiner Frau auf. In Mogador taucht er in einem Altstadtbordell unter. Dort trifft er auf viel arabischen Schamanismus und flieht nach einer versuchten Vergewaltigung reumütig zurück zu seiner ihn doch liebenden Frau. Und alles wird gut, da er nicht Angeklagter, sondern Kronzeuge der Geldwäsche Aktivitäten seiner Bank wird.

Ganz gruselig und konstruiert.

Daniel Kehlmann „Tyll“

Kehlmann schafft es, über dem bekannten Narren Till Eulenspiegel keinen Schelmenroman zu schreiben. Vielmehr zeigt er in dieser Geschichte aus dem 30-Jährigen Krieg, welche Verheerungen religiöse Intoleranz, Religionskriege, wissenschaftliche Überheblichkeit, Söldner und marodierende Truppen unter den Menschen anrichtet. Am Ende des endlos erscheinenden Krieges sind fast alle Dörfer in Deutschland niedergebrannt, die Menschen ermordet oder auf der Flucht und alle leiden Hunger.

Der „Tyll“ lieferte mir das deutsche Rollenmodell für die Ursachen von Flucht, Vertreibung und Armut. Jedes Mal, wenn an einer Ampel die Schwarzafrikaner bettelnd durch die Reihen der wartenden Autos gingen, kamen mit Szenen aus dem Buch in den Sinn. Bedrückt passierte ich die mächtigen Stacheldraht-Zäune am Hafen von Tanger Med., die die Festung Europa vor den Flüchtlingen aus Afrika schützen soll. Was kann man von einem historischen Roman mehr verlangen, als dass er uns in unserer aktuellen Zeit bewegt? Für mich kommt der Tyll am die historischen Romane Heinrich Manns und Lion Feuchtwangers heran.

Johann Michael Kühn u.a. „Gefangen unter Korsaren“

Diese Erlebnissammlung deutscher Seeleute, die in die Gefangenschaft algerischer Seeräuber gerieten, ist antiquarisch. Sie bietet aber einen Einblick in die Gefühlswelt und den Alltag christlicher Sklaven in einem  islamisch, feudalistische Herrschaftssystem und ist in vielen Schilderungen aktueller als moderne Romane über Mogador.