Briefe aus dem Sabbathjahr 08/09

Andalusien
 
 
Nr. 10
 
Hallo Ihr Frühlings (Sommer) genießer,
 
Geschafft: Der erste alpine Anstieg (1400 Hoehenmeter) des Jahres ist gut ueberstanden. Allerdings nicht an dem Tag, der in der letzten Mail angekuendigt wurde, sondern ueber eine Woche spaeter. Denn es muß einen Wettergott geben, der freche Bemerkungen sofort bestraft. In der Nacht nach der letzten mail sank die Schnellfallgrenze in der Sierra Nevada auf 1400m. Ich stand auf 1200. Und ihr habt den Frühling bekommen. Kälte ist wg meinem Daunenschlafsack kein Problem. Doch irgendwann mußte ich rausgehen und das war wirklich eisig. Kaffee in Handschuhen und Mütze habe ich mir lange nicht mehr gekocht. Also wurde der Aufstieg gestrichen und ich bin dem Wetterbericht folgend in die einzig sonnige Ecke Spaniens gefahren, ins Starkwind Surfparadies Tarifa.
Ja ich weiß Starkwind und Fahrrad. Aber bei Kälte arbeitet der menschliche Computer nur verzögert. Was hätte ich denn auch sonst machen sollen, im Restspanien war überall schlechtes Wetter. Und ihr ahnt auch schon, wer bereits da war; mein aktueller Fahrradfeind, der Mistral. Geschüttelt, aber noch ungerührt bin ich an nächsten Morgen erwacht und dann einfach gegen den Wind die Berge hochgefahren und mit Rückenwind wieder runter. Das war ok. Mehr gibt es  hier aber nicht zu erkunden und die 10 km Strand bin ich schnell abgelaufen.  Das Problem, fahre ich doch noch nach Marokko rüber oder bleibe ich in Spaniens/Portugal  beschaeftigte mich ueber eine Woche. Die  Perspektiven: Sevilla 25 Grad, Restspanien schlecht, Agadir 35 Grad und selbst die Städte im Atlas haben eine Vorhersage von 25 Grad. Also tastete ich mich langsam wieder in die andalusischen Berge vor. Zuerst durch die weissen Stadte andalusiens Vejer, Medina-Sedonia, Grazalema nach Ronda. Dann zurueck in die Sierra Nevada, wo ich den Aufstieg zur Mittelstation des Pico Veleta (2500 m) geschafft habe: Aber Uebermut wird in diesem Urlaub bestraft. An den Quellen des Guadalquvir, in der Sierra Cazorla bin ich am Karfreitag wieder eingeschneit. Und die Paesse aus dem Nationalpark raus sind 1400 m hoch und das alles mit meinen Sommereifen. Ich bin froh, dass ich die Winterausruestung fuer das Fahrrad eingepackt habe. Trotz Thermojacke und Handschuhen sind die 20 bis 35 km langen Abfahrten bei bei Temperaturen nahe der Nullgrad Grenze eine Tortur. Am Ende ist alles steif gefrohren und ich brauche ziemlich lange, um wieder aufzutauen. Mittlerweile bin ich in der Algarve gelandet.
Fahrradfahren ist nicht nur anstrengend, sondern auch lehrreich. Vom Auto aus haette ich nur vermutet, dass Baustellenschilder mit der blauen Flagge und den goldenen Sternen in Andalusien fast schon Waldcharakter haben. Mein Navi (Ausgabe 2008) stand hier fast dauend im besagtem. Statt der frisch geteerten Regionalstrasse zu folgen, wollte es mich immer auf z.T. nicht mehr vorhandenen Feldwege lotsen. Mit dem Fahrrad musste ich aber feststellen, dass die Schotterwege, die auf der neuen EU-finanzierten Wanderkarte einzeichnet sind, mittlerweile auch flaechendenkend EU-finanziert frisch geteert sind. Selbst Zufahrten zu den entlegensten Weilern werden neu angelegt werden, d.h. ich stand dauernd mit dem Fahrrad in Baustellen.
Sicher vor der Teerwut ist man nur in den Nationalparks, aber auf den EU Schilderwald Slalom muss man nicht verzichten. An jeder Wegzweigung weisen neue Hinweisschilder mit EU-Flagge auf die Besonderheiten dieses Biosphaerenreservates hin oder geben kund, dass die Wegmarkierungen von Bruessel gefoerdert wurden. Fuehrten einem frueher die alten Bergpfade oft in die Irre oder der Kuestenwanderweg durch undurchdringliches Gestruepp zu den schoenstgelegenen Muell- und Schuttkippen Spaniens, so finden sich Hinweise auf die neuen Fernwanderwege, Orientierungstafeln fast an jeder Weggabelung und wo Baeume fehlen, sind Pfaehle mit rot-weissen Zeichen in den Boden (Bin gespannt, wie lange es dauert, bis die umgefahren sind) gerammt. Hoehepunkt hier war sicherlich das Kuestennaturschutzgebiet bei Tarifa, ein 300 m breiter Streifen Kuesten-Sumpf-Wiese zwischen Nationalstrasse und Strand. Damit keiner einen Halm knickt ist ein 4 km langer Weg mit Holzplanken angelegt und eine Vielzahl Schilder mit Betretungsverboten aufgestellt worden (Natuerlich mit EU-Fagge). Nur schade, dass die andalusischen Kuehe, die das Gras genuesslich assen, die Schilder nicht verstehen. Aber sicherlich wird es ein EU-Programm geben, dass denen das Lesen von EU-Schildern beibringen wird.
Die Osterzeit in Andalusien ist fuer Rheinlaender ein Fest. Umzuege gibt es hier die ganze Woche. Ich habe drei gesehen. Als am Palmsonntag in Ronda eine Marien-Statue von 24 Traegern durch den Sprengel gefuehrt wurde, begleitet von vielen Buessern mit spitzen weissen Kaputzen (Klu-Klux Clan maessig), Blaskapelle und schoenen Frauen in historischen spanischen Kleidern, fragten bayrische Touristen in meiner Naehe, wo den der Pfarrer sei. Denen wollte ich fast schon mit dem rheinischen Spruch von Ralf Becker "Egal ob Christopher Street Day oder Fronlaichnamsprozession-Hauptsache der Zoch kuett" antworten. Weil das so schoen war, habe ich mir die Umzug in Granada und in Cazorla auch noch angeschaut.
Bei meinen Recherchen nach den regionalen Besonderheiten bin ich darauf gekommen, die spanische Kirche fuer einen Umweltpreis vorzuschlagen. Sicherlich wird sich ein europaeischen Finanzier finden. Zum Schrecken aller Koelnbesucher, fuehre ich ja alle durch die romanischen Kirchen auf dem Weg, und wie die Koelner wissen, koennen das viele sein. Doch in keiner dieser Kirchen habe ich eine Umwelt-Innovation, wie in den spanischen gesehen. Mir war auch nicht bewusst, wieviel CO2 die ganzen Bittkerzen in den Kirchen verbrauchen. In Spanien ist die Loesung zu bewundern in in Form von Kaesten mit 50 Leuchtdioden. Fuer 20 Cent brennt dann hier ein Licht, dass aussieht wie eine funzelnde Taschenlampe. Das spart CO2.
Mittlerweile versuche ich einen Kulturschock in Albufeira (Portugal) zu verdauen. Ich weiss noch nicht, ob das an meinen letzten Erinnerungen an die netten kleinen Fischerdoerfer in der Algarve (Lagos, Sagres, Albufeira) aus Mitte der 70 Jahre liegt, oder an meinem uebermaessigen Aufenthalt in Nationalparks in den letzten Wochen. Ich habe das Gefuehl, ich bin auf einer Baustelle. Die Altstadt ist durchsaniert, das stille Hinterland zugepflastert mit Villen und ich steht hier und wundere mich, was Geld alles anrichten kann. Geworben wird hier viel mit ueberwintern. Das Rheuma muss mich um den Verstand bringen, wenn ich hier als Rentner die kalte Jahreszeit verbringen werde. Zwar ist die ganze Altstadt Rollatorgerecht umgebaut und Dank EU gibt es jetzt auch Rolltreppen zum Strand auf der einen Seite und einen Aufzug in einer modernen Betonsaeule auf der anderen Seite (mal sehen, wer bei dem Klima als erstes ausfaellt), doch ich bin noch zu jung fuer diese Umgebung. Kurz: Als Rentner moechte ich hier nicht Tot ueber den Zaun haengen.
Ich werde meine Desillusionierungtour fortsetzen und hoffentlich noch einige ueberraschend schoene Entdeckungen machen, wie den nat. Park Pc Nieves (die Berge hinter Marbella) oder die Quellen des Guadalquivir (mit kreisenden Adlern).
Erholt Euch gut von dem oesterlichen Cholesterin-Chock
 
 
Haute Provence
 
Nr. 15
 
Hallo Ihr dem Wetterwechselbad  Ausgelieferten,
 
Einige  haben mein Schweigen in den  vergangenen Tagen richtig gedeutet. Ich war wieder in Deutschland und was soll  ich Euch von dort Neues erzählen, was Ihr nicht eh schon wißt. Mein Aufenthalt  zu Hause war eher unfreiwillig. Zwar müssen die Briefkästen in Berlin und Köln  ab und zu geleert werden, meine Blumen brauchen auch eine Ansprache, um zu  gedeihen, aber der eigentliche Grund war die Fortsetzung des Fahrraddesasters.
 
Am Gardasee hatte ich nach langem Suchen einen  Fahrradhändler gefunden, der meinen undichten Dämpfer (hinten) neue Dichtungen  verpaßte. So konnte ich wenigstens von Mekka der  MTBler (Riva) noch die  alten italienischen Militärstraßen  (strada d' Alpini z.B. Tremalzo-Paß) aus dem ersten Weltkrieg fahren, die wirklich  spektakuläre Ausblicke auf den See erlaubten. Doch die ganze Zeit hatte ich  nicht den Eindruck auf einem gedämpften Fahrrad zu sitzen, sondern auf einem  wippenden 1 Meter Sprungbrett im Spaßbad. Noch hatte ich mir nichts Böses dabei  gedacht. Und wer kennt sich schon in den  Reaktionen eines vollgefederten MTB aus.
 
Nach einer Woche See brach auch dort die  Gewitterzeit heran: Vormittags Sonneschein und Nachmittags Donner; Blitz und  Regen. Das heißt zum Fahrradfahren früh aufstehen und rechtzeitig die Tour zu  beenden. Das habe ich natürlich nie geschafft. Schließlich bin ich im  Urlaub, wo Ausschlafen angesagt ist. Also bin ich des öfteren naß geworden,  zumal die Gewitter sich nicht an ihre Regeln hielten und der Nachmittag auch  schon mal um 12 Uhr begann. Dafür kamen sie dann auch gleich zwei Mal am Tag. So  bin ich also schwitzend hochgefahren und erhielt auf der Abfahrt eine oder zwei  gratis Naturduschen. Da ich ein Warmduscher bin, habe ich es schließlich  vorgezogen wieder nach Süden auszuweichen, zumal der Online Wetterdienst für die  Seealpen stabilen Sonnenschein vorhergesagt hatte.
 
In Barcelonette angekommen, stand ich aber wieder  im Gewitter. Soviel zu den Internet-Wetterfröschen. Deren  Fehlprognosen hielten mich jedoch  nicht von den Paßfahrten ab. 5  Passe über 2000 m sind von dort zu erreichen. Einen habe ich geschafft, den  Cayolle (2300m; m.E. der schönste Alpenpaß). Ziel war es aber mit dem neuen  Fahrrad die alte, entwidmete  Verbindungsstraße zwischen dem Restefond und  dem Cayolle zu fahren. Vor einigen Jahren stand ich auf dem Restefond (2800 m)  mit meinem Tourenrad und traute mich nicht auf der alten Schotterpiste runter  zufahren. Wer weiß schon, ob das verstärkte Hinterrad eine solche Tortur aushält  und 30 km schieben schien mir keine angenehmer  Perspektive zu sein. Also habe ich darauf verzichtet und mir vorgenommen, wenn  ich mal ein starkes MTB habe, diese Strecke zu fahren. Nun habe ich eins, aber  ich bin garnicht zu dem Punkt der Abfahrt gekommen. Auf 2200 m hörte ich ein mir  mittlerweile sehr bekanntes Geräusch (Plong). Und wieder war eine Speiche  gebrochen. Ich bin natürlich sofort vorsichtig den Berg runtergerollt. Doch nach  23 km hat dann noch eine Speiche den Geist aufgegeben. Da meine ebene  Luftmatratze in der Nacht dann auch noch zu einer Wurst mutierte, ich ein Loch  im doppelten Boden meiner Lieblingshose entdeckte, einige Socken mehr aus Loch,  denn aus Umgebung bestanden, habe ich mich zu einer Generalüberholung meiner  Ausrüstung in Deutschland entschlossen.
 
Auf der Rückfahrt bin ich sofort bei meinem  Fahrradhändler vorbeigefahren und habe ihn ordentlich angegiftet, was für einen  Schrott er denn für gutes Geld verkaufen würde. Das SL (super light) auf den  Felgen hätte ich bisher immer auf das Gewicht des Rades bezogen und nicht auf  das Gewicht des Fahrers. Er fand mich garnicht witzig und ich hatte es auch  nicht so gemeint. Auf jeden Fall haben wir uns auf ein neues Hinterrad der  stabileren Downhill-klasse zu einem Sonderpreis geeinigt.
 
Wäre es nach mir gegangen, ich wäre am Dienstag  letzter Woche wieder in den Süden aufgebrochen. Ich hatte alles gewaschen,  erneuert und gepackt. Nur meine Fahrradwippe ließ sich nicht mehr einstellen.  Ich also wieder zum Händler, der dann auch kampflos einen neuen Dämpfer beim Hersteller besorgte (Garantie). Ich hasse es,  wenn der eigene Hausrat einem zu verstehen gibt, daß man Übergewicht hat.
 
Zu Hause mußte ich dann auch noch feststellen, daß  nicht nur meine Afrikatour definitiv ausfällt, sondern meinem Trip von Lhasa  nach Katmandou das gleiche Schicksal droht. Seit 15 Jahren fährt der dt  Alpenverein diese Tour. Nur dieses Jahr wahrscheinlich nich, da nur zwei  Anmeldungen eingegangen sind. Vorsorglich hat er mir mitgeteilt, daß ich mich  nach einem neuen Anbieter umsehen soll. Nur die sind mittlerweile entweder voll  (Warteliste) oder finden auch nicht statt. Also muß ich wahrscheinlich auf Plan  B zurückgreifen und die Himalayaüberquerung in Ladakh fahren.
 
Nun sitze ich wieder am Mt  Ventoux und versuche unverdrossen mit dem  Fahrradtraining fortzufahren. Die nächsten drei Wochen werden entscheidend für  die Kondition und den Reise-Höhepunkt meines Sabbathjahres werden. Egal was  kommt: Wichtig ist nur, daß ich alles versucht habe.
 
Tibet - Von Llhasa nach Katmandou mit dem MTB
 
 
Nr. 18
 
Hallo Ihr Winter-Depri Gefaehrdeten,
 
ich will Euch ja nicht die Nase lang machen, aber in Andalusien scheint immer noch die Sonne den ganzen Tag und es wird bis zu 30 Grad warm. Die nordeuropaeische Rollator und Pre-Rollatorfraktion ist schon zum Ueberwintern da. Und obwohl einige nur wenig aelter sind als ich und es auch Maenner gibt, die sich als gestopfte Wuerste verkleiden und einige Runden im hautengen Renndress mit dem Rad drehen, fuehle ich mich noch nicht diesem Club zugehoerig.
 
Da sind mir Rentnertripps in den Himalaya lieber. Denn ihr muesst nicht glauben, dass unsere Gruppe eine einmalige Expedition war. Mit uns im Flieger war eine US-Radtruppe mit 25 Teilnehmern (viel zu grosse Gruppe), die einen Tag nach uns sich auf den Weg nach Kathmandu gemacht haben. Unsere nepalesische Agentur betreute auch eine Radgruppe, die zwei Tage vor uns gestartet sind (die Aermsten hatten auf den ersten 80 km 16 Platten. Wir dagegen hatte auf der gleichen Strecke nur 2 - ich natuerlich wieder dabei. Ursache waren Flugdornen, die von irgendwelchen Bueschen auf die Strasse geweht wurden) und von Shingatze bis zur nepalesischen Grenze trafen wir taeglich eine franzoesische Radtruppe. Auffaellig in all diesen Gruppe war das hohe Durchschnittsalter. Dort waere ich ueberall der Benjamin gewesen und nicht der Senior, wie in unserem Team. Aber Alter schuetzt auch nicht vor Renndummheiten. So war es natuerlich immer das Ziel der fitesten Franzosen am Berg zur Gruppe unserer Frauen aufzufahren. Den ganzen Anstieg mithalten konnten sie nicht, aber der Erste, der aufschloss, hat sich immer gefreut wie ein Toursieger ( leider konnte keine unserer Frauen franzoesisch. Aber das zeichnet unsere Nachbarn aus, trotz fehlender Kommunikationsmoeglichkeiten  habe sie es taeglich wieder probiert).  Es besteht also noch Hoffnung auf einen aktiveren Ruhestand als ueber die andalusische Kuestenpromenade zu schleichen und sich in den Bodegas bereits mittags abzufuellen.
 
Und es gibt noch so viele Laender, in denen ich noch nicht war. Jetzt wo ich meine infantilen Reisewuensche ueberwunden habe, koennen rationalere Ziele ausgewaehlt werden. Radtouren ueber 5000 Meter Hoehe mussen es nicht mehr sein (dafuer bin ich eindeutig zu alt), aber zwischen dem Donauradweg und dem Dach der Welt gibt es ja noch viele lohnende Ziele. Buthan zum Beispiel fasziniert mich aktuell sehr. Dort ist das "Brutto Nationalglueck" Staatsziel und eine eigene Statistikbehoerde misst jedes Jahr den Gluecksstand. Gegen den Willen der Bevoelkerung hat der Koenig die unumschraenkte Herrschaft aufgegeben und die Demokratie eingefuehrt. Touristen werden nur so viele ins Land gelassen, wie die Bevoelkerung ernaehren und vertragen kann. Diese Form von Zwangsbeglueckung  hoert sich so schraeg an, dass ich das mal mit eigenen Augen sehen will. Reisen bildet eben.
 
Selbverstaendliche Wahrheiten aus der Ferne relativieren sich vor Ort sehr. Die Chinesen haben alles getan, um das Vorurteil der willkuerlichen Besatzer (Einreisesperre fuer Tibet, Konfiszieren der Reisefuehrer, Militaerpraesenz...) zu bestaetgen. Doch in Tibet selbst habe ich mir oft die Frage gestellt, wie saehe im Vergleich zu der Situation heute die Herrschaft des Dalai Lamas aus? Gaebe es ueberhaupt einen Tourismus, oder ware das Land wieder abgeschottet? Waere Lhasa eine saubere, herausgeputzte moderne Stadt mit gepflasterten Strassen, Shopping malls und prall gefuellten Maerkten oder ein schmuddeliges, staubig  laermendes, vergammeltes, verarmtes und chaotisches Nest wie Kathmandu? Wuerden ueberhaupt Gelder in die oeffentliche Infrastruktur fliessen und der gesamte "Frendship Highway" wie heute geteert sein oder wurden wir nach wie vor ueber Wellblech- und Staubpisten fahren und der Staat eine einzige Form von feudalistischen Nepotismus sein? Denn eins muss man den Chinesen lassen, sie investieren gigantisch in die Entwicklung des Landes. Ein Beispiel ist die neue Bahnstrecke nach Tibet und der moderne Bahnhof in Lhasa. 10 Kilometer ausserhalb der Stadt hochmodern, mit Prachtboulevards erschlossen und Bauerwartungsland rechts und links der Strasse. Da soll noch viel entstehen.
 
Wie saehe die Herrschaft des Dalai Lamas aus? Waere es das alte Feudalsystem mit kerikaler Herrschaft und dummer, aber glaeubiger Bevoelkerung, die weiter ihre Yak- und Schafherden ueber die Berge treiben und in den Taelern etwas Korn anbauen wuerde? Und welches Gesellschaftsmodell wuerde er der Jugend verschreiben gegen die Verlockungen des Westens? Was macht Yakdung und ranzigen Geruch so viel attraktiver als Channel No 5?
 
Jimmy, unser 27- jaehriger tibetanischer Guide, lief den ganzen Tag mit einem IPod im Ohr herum und hoerte moderne tibetischen Rap (angeblich verbotene, aber sehr populaere Musik). Nach 5 Jahren als Tour Guide war sein groesster Wunsch im nachsten Jahr hinter dem Counter des ersten tibetischen 4 Sterne Hotels zu stehen in seiner Heimatregion in Osttibet. Auch wenn er als 7 Junge einer relativ wohlhabenden Hirten- und Bauernfamilie ueberhaupt etwas erben wuerde, konnte er sich nicht mehr Vorstellen, dass traditionelle Leben seiner Vorfahren zu leben. Zu selbverstaendlich waren fuer ihn Discos, moderne westliche Kleidung, die Unterhaltungselektronic, gefakete Markenklamotten und westliches Jounkfoot. Auch wenn ich das alles nicht fuer den wahren Fortschritt halte, sind das doch die Beduerfnisse nach einem angenehmeren Leben, dass wir ihm vorleben. Und was hat der Dalai Lama ihm zu bieten? Jimmies Antwort, dass es so weiter gehen wird, glaube ich nicht.
 
Man sollte nie "Nie" sagen, aber die Chinesen unternehmen alles, um sich in Tibet festzusetzen. In Lhasa ueberwiegen die Han-Chinesen (sie sind Moslems. Die Frauen laufen im Schleier rum und die Maenner habe eine gehaekelte Kappe auf). Der ganze Handel ist fest in ihrer Hand. Und auch in den anderen Staedten praegen sie das Stadtbild. Hinzu kommt die Unmenge an chinesischen Militaer. Nur auf dem Land sind die Tibeter noch in der Mehrheit.
 
Die Tibeter sind sehr neugierig. Ueberall liefen die Kinder zum Strassenrand als unsere Radtruppe vorbeifuhr. "Money, money" war ihr Begrussungsruf. Auf jedem Zeltplatz kam eine Kinderschar herangerannt und versuchte zunaechst zu betteln. Ansonsten konnten sie stundenlang neben dem Zelten stehen und starren. Aber auch Erwachsene kamen und bettelten und starrten. Zu komisch mussen die behaarten Langnasen ausgesehen haben. Menschen, die Haare auf den Armen haben, fascenieren sie. Wenn sie dann auch noch Haare im Gesicht oder wie in meinem Fall "graue" Haare haben, grenzt das fuer sie an ein Wunder. Denn Tibeter sind an den Armen unbehaart und nur den Alten waechst ein Bart und bei sehr Alten sind sie grau.  Fuer Jimmy unseren tibetischen Guide war ich also nur "Papa" (Opa traute er sich nicht zu sagen. Aber gemeint hat er es) und dass ich in dem scheinbaren Metusalemalter auch noch eine solch unsinnig anstrengende Fortbewegungsart gewaehlt habe, fand er nicht altersgemaess. Er hat sich manchmal mein Rad ausgeliehen, wenn ich wieder in den Besenwagen gestiegen bin und ist einen Teil der Strecke gefahren. Oft klagte er dann ueber einen schmerzenden Hintern oder Muskelkater nach den kurzen Strecken und verstand ueberhaupt nicht, wie man die ganze Etappe fahren konnte, dafuer auch noch bezahlte und trotzdem noch Spass daran hatte. 
 
Auch wenn von den 1100 km rund 750 km geteert waren, war ich froh, ein stabiles halbwegs gefedertes Rad gehabt zu haben.  Kein Speichenbruch und keine Daempferprobleme. Ueberhaupt hatten wir alle nur wenige technische Probleme. In der ganzen Gruppe gab es nur drei Speichenbrueche, ein beschaedigtes Schaltauge (Transportschaden) und ein verbogenes Kettenblatt (auch Transportschaden). Das war es. Einzig auf der 250 km langen Abzweigung zum Mt Everest Basis Camp habe ich auf den zwei 40 km langen Abfahrten auf staubigen "Wellblechpisten" ein voll gefedertes Rad gewuenscht. Aber selbst auf diesen Pisten haben wir zwei Finnen getroffen, die auf ganz normalen ungefederten Trekkingraedern fuhren. Es geht also auch ohne High-Tec Rad, aber zur Nachahmung zu empfehlen ist das nicht.
 
Aber wem erzaehle ich das alles. In meiner Leserschaft gibt es sowieso keine Fahrrad Begeisterten (Nachahmer). Eher Motorrad Fans. Fuer die gibt es aber auch eine Tibethoffnung. Wir haben einen dt. Veranstalter getroffen, der die Tour als Gruppenreise auf indischen Enfields anbietet. Oder wenn ihr es ganz bequem haben wollte: In drei Tagen ist die Strecke auch in gemieteten Gelaendewagen mit Fahrern zu schaffen. Ich finde, das Land ist eine Reise wert. Vergesst Hedin oder Harrer und schaut Euch ein fascenierende karge, meditative Landschaft mit erstaunlichen Menschen und eigenartiger Kultur an.
 
So das war es von meinen alltaeglichen Reiseabenteuern aus dem Sabbathjahr. Naechste Woche muss ich wieder arbeiten und das wird die groesste Herausforderung des letzten Jahres sein. Wenn ihr glaubt, ich habe mich in dem Jahr "ausgereist", so teuscht ihr Euch. Meine Reiselust hat noch zugenommen. Und fuer die Tatsache, dass ich in dem Jahr eigentlich nichts gesucht habe, habe ich viel gefunden. Mir hat das Geschichten aufschreiben, Spass gemacht. Ich hoffe, Ihr hattet ein wenig Kurzweil bei der Lektuere.
 
Bis bald Vis a Vis in der kalten Heimat