Kopflos durch Korsika
Also bin ich doch abends auf die Nachtfähre nach Bastia gestiegen. Als Schlummerlektüre
"Der Kopf des Korsen" von Jean Renard
im Gepäck. Doch welch eine Enttäuschung auf dem Weg zur "Insel der Schönheit". Als hätte ich alle Warnsignale übersehen. Hinter dem Pseudonym Jean Renard verbirgt sich ein Deutscher und er veröffentlicht den Roman in einem Kölner Verlag, der sich auf Regionalkrimis spezialisiert hat. So gibt das Buch sich alle Mühe, meine Vorurteile über deutsche Regionalkrimis zu bestätigen.
Weil ein Mafiapate in Paris ein Kopfgeld auf zwei Ermittler ausgesetzt hat, werden diese aus der Schusslinie genommen und nach Korsika versetzt. Da trifft es sich gut, dass einer der Beiden aus einer korsischen Familie stammt. Sie sollen ganz offiziell den Tod eines Inspektors in Nordkorsika aufklären.
Die Absurdität des Romans fängt bereits mit dieser Ausgangskonstellation an. Welche Ermittler werden vor Kopfgeldjägern aus Paris geschützt, indem man sie öffentlich und offiziell in Bastia nach Mördern suchen lässt. Und so ist es nur für den Autor erstaunlich, dass sie entdeckt werden und es zu einem großen Show-Down in Calvi kommt. Dort bringen dann unsere beiden Paris Flüchtlinge zusammen mit aufrechten Korsen, liebenswürdigen ehemaligen Fremdenlegionären die psychopathischen internationalen Auftragskiller zur Strecke.
Natürlich finden die beiden Ermittler ihre neue Lieben auf der Insel. Der eine kriegt die Direktorin des Elitegymnasiums von Bastia und der andere die tolle Schwester eines kriminellen Korsika Paten. Dazwischen prügeln sich die Kommissare durch die Kneipen im nördlichen Korsika und brausen ständig unmotiviert die 100 km zwischen Bastia und Calvi hin und her.
Die einzige neue Erkenntnis ist, dass die Nr. 20 das Wesen der Korsen erklären soll. Gemeint ist die 20. Ausgabe der Asterix und Obelix-Reihe, "Asterix und Obelix bei den Korsen".
Absurder Höhepunkt ist das Ende, als der Anführer der Auftragskiller entwaffnet an die Polizisten Ehre appelliert, um nicht erschossen zu werden und der in Paris aufgewachsene Ermittler meint, er sei in erster Linie nicht Polizist, sondern Korse.
Was will der Dichter uns damit sagen? Das Blut und Abstammung doch prägender ist als Erziehung? Und diese Aussage ausgerechnet auf einer Insel, auf der seit Jahrtausenden Völkerscharen durchgezogen und hängengeblieben sind.
Naiv ist auch der Blick auf Fremdenlegion und Korsen. Es sind nicht irgendwelche netten Fremdenlegionare an der schönen Bucht von Calvi stationiert, die mittags zur Belustigung der Touristen über der Bucht abspringen. Das ist das 2 Regiment Etrangere Parachutiste, die Fallschirmjäger, die Elitetruppe in der Elitetruppe Frankreichs, die in allen Kriegen der Grande Nation von Vietnam bis Afghanistan im Einsatz war. Dass die auch privat nicht harmlos zu sein scheinen, sieht man an den Wochenenden in Calvi, wenn die Doppelsteifen der Militärpolizei abends durch die Stadt patrollieren.
Und wäre der Autor auch mal in den wunderschönen Berge Korsikas wandern gewesen, hätte er die bösen Blicke der korsischen Hirten sehen können, wenn der Gebirgsjäger Zug des 2 REPs mal wieder vorbeizieht. Das ist kein harmonisches Liebesverhältnis zwischen Korsen und Fremdenlegion. Nachdem das 1 REP wegen seiner Beteiligung am Putsch von Algier gegen De Gaulle aufgelöst wurde, hat Frankreich bewusst die Fallschirmjäger in Korsika stationiert, genauso wo die Pieds Noir, die loyalen Algerienfranzosen, bewusst auf Korsika angesiedelt wurden. Das alles sorgt seit Jahrzehnten für Spannungen auf der Insel. Das ist genau das Gegenteil der im Roman gezeichneten Idylle.
Und statt der Beschreibung der Korsen als knorrig und heldenhaft, hätte ich mir einige Hinweise auf den korsischen Nationalismus und seine Folgen gewünscht. Die Bombenanschläge auf Polizeistationen und die Sprengung von Häusern der Festlandsfranzosen sind auch durch die deutsche Presse gegangen. Und in französischen Medien war von mafiaähnlichen Clanstrukturen zu lesen, die den Bau neuer Hotels im geschützte Pinienwald der Bucht von Calvi ermöglichte.
Aber das Ärgerlichste von Allem ist die sprachliche Unzulänglichkeit bei der Beschreibung der Schönheiten der Insel. Wenn sie überhaupt vorkommen, sind es nur "gigantische Schauspiele", wie etwa der allabendliche Sonnenuntergang, der die 2000 m hohen Berge der Bucht von Calvi violett färbt. Gigantisch ist eine grandiose Untertreibung.
Urteil: Diesen Roman hat die wunderbare und abwechslungsreiche Insel nicht verdient. Er ist strukturell, inhaltlich, erzählerisch und touristisch unbrauchbar.
Gut, dass ich die meisten Schönheiten der Inseln bereits vorher kannte. Durch den Roman hätte ich nie den wunderschöne "Foret de Bonifato" oberhalb Calvis entdeckt, den eigentlichen Einstieg auf den Fernwanderweg GR 20. Mein Versuch durch den tiefen Wald voller knorriger Bäume und entlang eines kleinen Flusses mit vielen Gumpen, die zum Baden einladen, nach Haute Asco zu kommen, scheiterte leider an noch verschneiten Pässen. So bin ich den GR 20 stückweise gegangen, im Landesinneren bei Vizzavona mit Tagestouren an den Monte D Óro oder am Ausgang des GR 20 bei Conza. Schön waren auch die Touren auf dem Fernwanderweg Mare e Monte oberhalb von Porto. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den alten Muli Pfad durch die wilden Schluchten voller Kastanienwälder von Evisa nach Porto mit dem Moutainbike zu fahren. Die Abfahrt wäre aber für meinen geschundenen Finger doch zu ruppig geworden. Deshalb blieb es bei einer entspannten Wanderung durch die tiefen Wälder und über wild romantische Steinbrücken. Herrlich waren auch die Radtouren zu den alten Bergdörfern oberhalb von L Ile Rousse und auf der Nordspitze vom Cap Corse.