Zwei feine Italiener
Kein Krimi, aber eine gute Einstimmung auf Italien ist der Roman von
Elena Ferrante "Geschichte eines neuen Namens".
Die ganze Neapelsage Ferrantes ist ein Muss für alle Vorstadtprinzessinnen und Prinzen, aber auch erinnerungsschwangere Heimattour in die eigene Vergangenheit für alle anderen.
Der erste Band der Neapel Saga
"Meine geniale Freundin"
beschreibt die Kindheit und Jugend in einem tristen Arbeitervorort Neapels Anfang der 50er Jahre. Er startet im Vorschulalter und endet mit dem Wechsel auf die Oberschule der Erzählerin und der Hochzeit der 16-jährigen Freundin. Die ersten 100 Seiten ziehen sich. Ich fragte mich oft, was mich am Puppenspiel zweier Vorschulkinder interessieren sollte. Schließlich bin ich aus dem Alter raus, in dem ich mich für die Konkurrenzspielchen von Sechsjährigen interessiert habe. Und Puppenverstecken war mir schon im Kindergarten zu öde, wie ich mich bei der Lektüre des Buches erinnerte.
Doch nach und nach zog der lockere Erzählton mich in die Geschichte. Zwischen der Beschwingtheit einer mündlichen Plauderei und der Erzählung in einem Buch steht immer das gedruckte Wort. Es macht aus faszinierenden Erzählungen mit Halbsätzen, Gesten und Tonfällen ein hirnloses Gestammel. Geschriebenes, dass sich locker gibt, wirkt fast immer aufgesetzt. Da ich jahrelang Mitschriften meiner Chefs vor der Weitergabe redigieren musste, weiß ich, wie schwierig es ist, Reden in eine angemessene Schriftform zu übersetzen. Und umgekehrt gilt das Gleiche. Fast alle vom Blatt abgelesenen Reden, die ich über mich ergehen lassen musste, waren hölzern und öde - auch wenn sie von guten Rednern vorgetragen wurden.
Dank Ferrantes Erzähltons überstand ich die ersten 100 Seiten. Sie schafft es, die Schriftsprache so locker und ungezwungen klingen zu lassen, wie ein angenehmes Kaffeehausgespräch und nach und nach schlug mich die Erzählung immer mehr in ihren Bann. Der Versuch sich aus dem Arbeitermilieu herauszuträumen, die Chance auf eine weiterführende Schule zu gehen, die Weigerung der Eltern der Freundin auch ihr die Oberschule zu finanzieren und das Gefühl der Entwurzelung auf der Oberschule und der Entfremdung von den im Vorort auf der Hauptschule Zurückgebliebenen kamen mir bekannt vor.
Ich erinnerte mich an lang vergessene Freunde, die auch die Empfehlung für das Gymnasium hatten, aber nicht wechseln durften. Plötzlich war auch das bei Ferrante beschriebene permanente Gefühl in den ersten Klassen der weiterführenden Schule wieder da, eigentlich ein Betrüger zu sein, der auf der Schule der Anderen, dem Gymnasium nichts zu suchen hatte. Und auch der Bildungshunger war wieder zurück, alles lesen, lernen und verstehen zu wollen, was die Anderen nach Vorstadtsicht "natürlich" von zuhause aus mitbekommen hatten.
Was kann man von Literatur mehr erwarten, als dass sie die Saiten der Erinnerung zum Klingen bringen.
Der zweite Band "Die Geschichte eines neuen Namens" beschreibt die deutlich interessanteren Lebensphasen der beiden Freundinnen. Erste Liebeserfahrungen, amouröse Abenteuer, Abitur, Studium, Flucht aus der frühen Ehe, erstes Kind. Es fällt auf, dass sich die Stellung der Frau in Neapel de 50er und 60er Jahren noch sehr stark nach dem Beruf und der Stellung der Männer richtete. Ziel war es noch nicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, sondern ganz traditionell eine gute Partie machen. Ausnahme ist die Erzählerin, die zunehmend durch ihre akademische Arbeit aus dem vorgegebenen Rollenklischee ausbricht.
Es mangelt dem zweiten Band einzig das politische Kolorit frühen 60er Jahre. So deutet Ferrante im Bericht über die erste Auslandsreise der Erzählerin zwar eine Rede des bürgerlichen Freundes vor Trotzkisten in Paris an und beim Besuch die Familie des zweiten Freundes wird am Mittagstisch über die Unterstützung der italienischen Sozialisten für die Christdemokraten diskutiert, aber das alles bleibt erstaunlich fade. Egal welcher trotzkistischen Sekte der Freund angehörte, im Bett, beim Frühstück oder abends in den Kneipen wäre heftig und ausführlich über Trotzkies Zentralthese den Intrismus diskutiert worden. Bei Ferrante ist kein Wort darüber zu lesen.
Urteil: Die Geschichte macht süchtig. Ich fiebere bereits dem dritten Band entgegen, der Ende August erscheinen soll. Man kann auch bei der Lektüre mit dem zweiten Band beginnen, wenn Kinder- und Schulgeschichten einen nicht interessieren, aber man versäumt Einiges.
In Cannobio am Lago Maggiore musste ich eine Zwangspause einlegen um
Andrea Camillieries "Das Spiel des Poeten"
noch vor der ligurischen Küste zu lesen. Aus früheren Geschichten wusste ich um die Fernbeziehung des sizilianischen Ermittlers zu einer Genuesin. Die langen nächtlichen Telefonate und die permanenten Diskussionen, "kommst du zu mir oder komme ich zu dir" ist ein Running-Gag der Camilierie Geschichten.
Wie bei einem alten Ehepaar nutzt sich diese Diskussion aber im Laufe der Zeit ab. Wo früher hitzig gestritten wurde, wird in diesem Roman nur noch beleidigt aufgelegt. Nicht nachvollziehbar ist zudem, warum der Kommissar trotz fehlender Morde und Langeweile keinen Urlaub bei der Freundin in Genua macht. Auch die Beschreibung der Beziehung zu den anderen Kollegen bleibt lustlos. Dann lässt sich der Kommissar auch noch ganz unprofessionell auf eine anonyme Schnitzeljagd ein und als wenn das alles noch nicht genug wäre, zieht der Autor auch noch an den Haaren einen Philosophiestudenten herbei, der als Praktikant für sein Philosophiestudium die Denkweise von Kommissaren analysieren will. Natürlich ist der Praktikant der Erfinder des Versteckspiels und am Ende auch der Mörder.
Die Geschichte ist ziemlich fade und unglaubwürdig. Der Ermittler erweckt beim Leser den Eindruck, lustlos auf die Pension zu warten und selbst die Gerichte, die die Haushälterin dem Kommissar immer in den Kühlschrank stellt, wirken aufgewärmt. Und auch touristisch ist der Roman eine Enttäuschung. Schönen Beschreibungen Süd-West Siziliens-Fehlanzeige.
Urteil: Besser die früheren Krimis der Reihe lesen. Nach 16 Folgen scheint der Stoff ausgelutscht.
Auch wenn in Savona eine Fähre nach Sizilien gelegen hätte, nach diesem öden Roman wäre ich nicht eingestiegen.