52 Tage bis Timbouctou
„Das mythische Timbouctou“ nannte ein französischer Entdeckungsreisender die Wüstenstadt in der Sub-Sahara. Die Saga vom unermesslichen Reichtum der Stadt am Niger (im heutigen Mali) führte in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts zu einem wahren Wettlauf der Europäer durch die Wüste. Als Rene Caille 1828 den ersten nüchternen Bericht über die tatsächliche Situation in der Stadt lieferte, war die Enttäuschung groß. Keine vergoldeten Kuppeln oder gepflasterte Straßen, stattdessen Staub und Lehmbauten. Manch einer wollte die Realität überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen und unterstellte, der Autor sei überhaupt nicht in Timbouctou gewesen. Erst der Begründer der modernen Afrikaforschung Heinrich Barth bestätigte 25 Jahre später, dass Caille Timbouctou aufgesucht hatte. Der deutsche Gelehrte, der nach der Promotion keinen Lehrstuhl an der Universität fand, hatte sich einer englischen Expedition nach Zentralafrika angeschlossen und war der einzige Europäer, der überlebte und Zeugnis ablegen konnte. Sein 3500 seitiger Reisebericht hat zwar die moderne Afrikaforschung begründet, aber für einen Lehrstuhl an einer deutschen Universität reichte auch das nicht.
Als sich die Entdecker aus den alten Kontinent nach Afrika aufmachten, hatte Timbouctou seine Blütezeit als Kreuzungspunkt der Nord-Süd und der Ost-West Karawanenstraßen längst hinter sich. Ausgerechnet der europäische Seehandel mit den Karavellen hatte das Geschäftsmodell der Karawanen zerstört. Die ertragstüchtigen Güter Elfenbein, Gold und Sklaven brauchten nicht mehr durch die Wüste transportiert zu werden. Sie konnten von den Schiffen der Europäer direkt an der Elfenbeinküste (heißt heute noch so) oder der Goldküste (so hieß Ghana noch in meinem Schulatlas) abgeholt werden. Nach der Abschaffung der Sklaverei in Europa befand sich auch der Sklavenhandel im Niedergang.
Aber der Mythos der Stadt am Niger lebt noch heute. „52 Tage bis Tombouctou“ stand auf einem Schild am Zagora, der letzten größeren Oase vor der Wüste. Es nährte die Sehnsucht. Wenn Karawanen 52 Tage durch die Wüste brauchten, wie lange würde Sancho Panzer heutzutage bis zur Sehnsuchtsstadt in der Subsahara benötigen? In drei bis vier Tagen könnte man es theoretisch bis an den Niger schaffen, träumte ich. Aber leider endete die befahrbare Welt 80 km südlich von Zagora an der umstrittenen marokkanisch-algerischen Grenze. Und wer es trotzdem versucht, wird höflich aber bestimmt von den allgegenwärtigen Soldaten zurückgeschickt. Auch wer nur die letzten Pisten parallel zur Grenze sucht, wird zurückgeschickt. Kein Pardon für Offroader.
Leider sind die goldenen Reisezeiten der 70ger Jahre vorbei, als Freunde von mir mit einem alten Grenzschutzwrack (Hanomag Großkraftwagen) durch die algerische Wüste bis an den Niger fuhren und dort das Auto gegen Einbäume und Geld eintauschten. Paddelnd wollten sie Bamako erreichen. Heutzutage verteidigt die Bundeswehr das Grundgesetz auch in der Sahara gegen die Tuareg und Al-Kaida.
Kein Ort an dem ich Urlaub machen möchte. So blieb mir nur, am Wegweiser nach Timbouctou sehnsuchtsvoll nach Süden zu blicken und zu träumen.