Marrakech - Traum oder Alptraum

Die hohen Erwartungen am Marrakech stammen aus verschiedenen Traumperioden. Die erste Lage sind die Jugendträume aus Tausend und einer Nacht von der mit einer dicken Lehmmauern umschlossenen alten Königsresidenz am Rande der Wüste, dem Kamelmarkt auf dem Platz der Gehängten, Männer die Kobra mit ihren Flöten bändigen, rot gekleidete Wasserverkäufer mit spitzen Hüten, die ihr Produkt aus Ziegenbeutel heraus anbieten, verwinkelte und verwirrende Souks und eine labyrinthische Altstadt mit ummauerten Palästen.

Die etwas erwachsenere Traumlage wird aus den Berichten über die swingende Jugend der 60er Jahren gespeist. Als die jungen Rolling Stones mit Erben deutscher Stahlindustrien und bekannten Pariser Modeschöpfer wie Yves St. Laurent und seinem Lebenspartner Bergé hier Inspiration und ihre Form von ausgelassenem Leben fanden, legendären Partys inclusive.

Die jüngsten Traumdeutungen stammen aus der abgeklärten Altersdistanz. Hier finden sich die Berichte über prächtige  Riads (alte Stadtpaläste mit Gärten), die von vielen Schönen und Reichen aufwendig restauriert wurden, von der Heldentat YSL und Berg zur Rettung des botanischen Gartens, das neue Museums des Modeschöpfer, das die Museumswelt jüngst in Aufregung versetzte und dann die Kunstmesse über aktuelle afrikanische Kunst, die alle fünf Jahre stattfindet und nach New York und London am Wochenende 24/25.2 in Marrakech veranstaltet wird.

Auf der Terrasse des Argana

„Kann eine Stadt eigentlich all diesen Erwartungen gerecht werden“, fragte ich mich frustriert bei einem Kaffee und marokkanischem Gebäck im Argana (Anschlag 2011) hoch über dem halbleeren, leicht Rummelplatz ähnlichen „Platz der Gehängten“.

Alles war da, aber irgendwie nicht so wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Platz war mit mobilen Marktständen voller Obst und getrockneten Früchten zugeparkt. Dazwischen wuselten die Touristen. Wenige Kobras lagen apathisch auf dem Boden während ihre Beschwörer einen Höllenlärm veranstalteten und vor allem die fotografierenden Touristen abkassierten. Zuerst glaubte ich die Schlangen seien aus Holz. Aber manchmal bewegten sie sich etwas. Die bunten Wasserverkäufer boten eine noch traurigere Show. Was sollen sie auch machen, wenn alle Kunden mit Plastikflaschen herumlaufen und die Verkäufer an den Obstständen frisch gepresste Säfte anbieten. Wer kauft da schon Wasser unklarer Herkunft aus Ziegenbeutel. Mit noch weniger Show als die Schlangen kassierten auch sie die fotografierenden Touristen ab.

 

Kamele waren nicht zu sehen dafür mehr Pferdedroschken als in Wien. Der Souk war mit bummelnden Touristen überlaufen. Da ich Shoppen hasse, waren meine Soukbesuche auch mehr ein Orientierungslauf. Gekauft habe ich nichts. Ich bin halt ein Junge, geshopt wird nur, wenn man was braucht.

Die Altstadt ist verwinkelt und überall wird gebaut. Jugendliche haben als Geschäft entdeckt,  vorbeiströmenden Touristen zum Besteigen von Gerüsten und Leitern zu animieren, damit sie einen Blick in die ansonsten hinter Mauern versteckten Riads werfen können. Auch nicht mein Ding.

Normaler Andrang vor dem neuen YSL Museum

Die Warteschlange von rund 400 Besuchern vor dem botanischen Garten mit dem YSL-Museum wollte mittags und abends nicht abnehmen. Da ich ohnehin mehr am Garten und an der Architektur des Museums, denn an der Haute Couture der 60er Jahre interessiert bin, habe ich auf den Besuch verzichtet. Die Kunstmesse fand im besten Hotel Marokkos statt (6-Sterne), das mir noch nicht einmal die Gartenpforte öffnete. Später las ich auf einer New Yorker Kunsthändler Seite, dass dies die perfekte Gelegenheit sei das eigene Kunst-Portfolio neu zu justieren. Ein Angebot für die Übernachtung von 380 Dollar in einer der bezauberndsten orientalischen Stadt mit lebendiger Kunstszene wäre die Beigabe. Da ich immer noch nicht weiß, wo mein Portfolio versteckt ist, habe ich auf eine Neuorientierung und auf die Besichtigung der Beigabe verzichtet und bin auf meinen schönen Campingplatz mit Pool für 8 Euro die Nacht zurückgeradelt.

Angesichts einer so überfrachteten Erwartungshaltung kann man nur frustriert werden, dachte ich mir im Café über dem Platz. Lehn dich zurück, vergesse die Träume und genieße die Aussicht. Marrakech ist eine normale moderne Stadt mit einer besuchenswerten Altstadt. Man sollte einmal dort gewesen sein, aber zwei Tage reichen. Sie ist weit von einer Traumstadt entfernt.

Morgen geht’s weiter im Spiel Traum trifft auf Wirklichkeit. Das Wetter entscheidet, ob es über den Hohen und den Anti-Atlas in die Sahara nach Zagora geht oder ins Weltkulturerbe Essaouira, dem alten Piraten Nest und Endstation der Karawanen aus Timbouktou, dem legendären Mogadou.